Realms of Cthulhu (Erweiterung zu Savage Worlds)

  • Was ist Savage Worlds (SW)?


    SW ist ein Rollenspielsystem aus dem englischsprachigen Raum, das zur Adaptierung an viele verschiedene Settings geschaffen wurde. Z.Z. gibt es Settings aus den Genres Fantasy, Science Fiction, Steampunk, Horror, usw.


    In SW sind Skills und Attribute nicht durch Werte ausgedrückt, sondern direkt durch Würfel. D.h., ein 12-seitiger Würfel (W12) in einem Skill ist sehr gut, ein W4 hingegen eher schlecht. Würfelwürfe können "explodieren", d.h. beim Erreichen der höchstmöglichen Punktzahl darf man den gleichen Würfel nochmal werfen und das Ergebnis hinzuaddieren (auch mehrmals). Die Regeln dafür, welchen Wert man überwürfeln muss, sind sehr einfach und übersichtlich. Das System setzt damit viele Elemente sehr schön um - z.B. daß eben manchmal auch ein Dilettant mit viel Glück Erfolg haben kann, besonders seltene aber kritische Treffer, die viel Schaden anrichten, usw.


    Mit sog. "Bennies" kann man sich einen neuen Würfelwurf erkaufen oder z.B. durch einen extra Wurf versuchen, erlittene Wunden zu kompensieren. Jeder Spieler erhält ein paar Bennies zu Spielbeginn, und manchmal auch zu anderen Gelegenheiten.


    Außerdem unterscheidet das System zwischen den Hauptrollen eines Abenteuers (Wild Cards) und den Nebenrollen und Komparsen (Extras), und legt den Fokus immer auf die Hauptrollen, die einige Vorteile für sich verbuchen dürfen.


    Ein Charakter wird bei der Erstellung mit Punkten "zusammengekauft", wobei auch Vorteile (besondere Fähigkeiten z.B.) und Nachteile genommen werden können - Nachteile erlauben z.B. zusätzliche Kaufpunkte, außerdem sind sie nebenbei eine schöne Hilfestellung, wie man einen Charakter im Rollenspiel selbst darstellen will.


    Was ist "Cthulhu"?


    Cthulhu ist eine von dem Horrorautor H.P. Lovecraft ersonnene Kreatur, ein "Elder God" aus einer Zeit vor Anbeginn der Menschheit. Lovecraft schrieb viele Geschichten, und "Call of Cthulhu" zählt dabei mit zu den Bekanntesten.


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    Lovecrafts Geschichten sind manchmal Berichte von Ermittlern oder Forschern, wie z.B. "At the Mountains of Madness", ein warnender Reisebericht eines Antarktis-Forschers, der eine Millionen Jahre alte Stadt entdeckt hat.


    Die Figur des Cthulhu wurde dabei so populär, daß man die von Lovecraft erschaffene Fantasie-Welt oft auch als "Cthulhu Mythos" bezeichnet.


    Was ist der "Mythos"?


    Der Mythos fasst all das zusammen, was Menschen nicht wissen wollen oder vielleicht gar nicht verstehen können. Zuviel Wissen über den Mythos, seine Magie, seine Kreaturen und Götter kann Menschen in der Wahnsinn treiben. Verborgene Dimensionen verbleiben ungesehen bis inaktive Gehirnregionen aktiviert werden, sei es durch Absicht (okkulte Forscher und Schwarzmagier) oder durch Schock (Begegnung mit Kreaturen und Auswirkungen des Mythos). Es ist ein Reich dunkler, hungriger Götter und einer Magie, die Seele und Verstand kosten kann. Körperlose Kreaturen, die ihrer Umgebung alles Leben entziehen kommen darin genauso vor wie urgewaltige Götter von deformierter Gestalt, ihre Diener und wirklich fremdartige Rassen.


    Der Cthulhu Mythos im Spiel


    Inzwischen gibt es bereits drei Adaptionen des Cthulhu Mythos als Rollenspiel: Call of Cthulhu (CoC), Trail of Cthulhu (ToC) und jetzt eben auch Realms of Cthulhu (RoC).


    Call of Cthulhu ist ein in den 80ern enstandenes Rollenspielsystem vom Chaosium-Verlag (zu dem ich leider selbst nicht viel sagen kann).


    Trail of Cthulhu ist eine Adaptierung des Cthulhu Mythos an das GUMSHOE-System (s.a meine Rezension hier). Besonderer Wert wird hierbei auf die Detektivarbeit der Ermittler gelegt, also das Erlangen von Information aus den gegebenen Hinweisen.


    Realms of Cthulhu ist eine Adaptierung/ein Setting des Cthulhu Mythos an das Savage Worlds Rollenspielsystem.


    Realms of Cthulhu (RoC)


    RoC erschien 2009 beim "Reality Blurs"-Verlag:


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    Das Buch (als PDF erhätlich) beinhaltet die nötigen Zusatzregeln, Informationen zur Spielwelt (insbesondere für den Spielleiter, auch "Keeper" genannt) und Magie. Es ist purer Erweiterungsband, d.h. ohne die Basisregeln für SW ist RoC unspielbar. Der größte Teil des Buches wird von Spielleiter-Information eingenommen, und leider gibt es keinen separaten Band nur für Spieler. Wer also erstmal nur spielen und nicht leiten will, sollte entweder nur den ersten Teil lesen oder ihn sich vom Keeper erklären lassen. So bleibt es schön mysteriös und spannender.


    Kaum überraschen werden die kleinen Anpassungen - neue Zusatzfertigkeiten und Nachteile, ein paar Skills mehr und ein paar weniger. Interessanter wird es da schon bei den "Defining Interests" - jeder Spieler darf seinem Charakter ein paar Wissensgebiete zuordnen, die er mit Interesse verfolgt. Dadurch wird einerseits der Charakter ausgeformt und andererseits der detektivische Aspekt des Spiels bedient (wer weiß was und könnte so einem Hinweis mehr entlocken).


    Hinzu kommen neue Regeln für Angst, Traumata, Schock und Wahnsinn. Begegnen die Charaktere dem Mythos, kann nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre geistige Gesundheit Schaden nehmen. Jeder Charakter beginnt mit einem Grundwert an Sanity (abgeleitet aus dem "Spirit"-Würfel), und je tiefer er in den Mythos eindringt, desto mehr sinkt diese geistige Gesundheit - beinahe unaufhaltsam. Mit ein paar Zusatzfertigkeiten kann man den Wert wieder auffüllen, mit einer Steigerung des Spirit-Attributes auch erhöhen, aber je mehr sich ein Ermittler (Spieler-Charakter) mit dem Mythos beschäftigt, je mehr er über Magie und fremdartige Kreaturen lernt, desto mehr nimmt seine geistige Gesundheit ab. Begegnet der Spieler einer Kreatur oder einem Ereignis, das seine geistige Gesundheit bedroht, so kann der Spieler versuchen, das durch einen Wurf auf seinen Mut ("Guts") abzuwenden. Scheitert er, so wirft der Keeper gegen den Sanity-Wert des Spielers, und wird dieser weit übertroffen, beginnt der Wahnsinn von dem Charakter Besitz zu ergreifen. (Den Wahnsinn darf man dann gerne auch ausspielen, was sicher Spaß macht.)


    Hier wurde besonderen Wert auf Flexibilität gelegt - sowohl körperlicher als auch geistiger Schaden können je nach Szenario angemessen ausgespielt werden - eine leichtere und eine schwerere Variante existieren. In der leichten Variante können körperliche und geistige "Verwundungen" noch mit Bennies gemildert werden, und echter Wahnsinn tritt erst ein, wenn der Spieler mehr als die SW-typischen drei geistigen "Wunden" (Wahnsinn) erlitten hat. Dasselbe gilt für kritische Verwundungen und die körperliche Gesundheit. In der schweren Variante kann man Wunden nicht mit Bennies abmildern/wegstecken, und den Terror kann man mit Bennies auch nicht wegrationalisieren. Jede Wunde fügt eine körperliche Beeinträchtigung hinzu, bzw. jede Stufe an Wahnsinn eine geistige Beeinträchtigung.


    Daraus ergeben sich vier Gesamtvarianten:


    "Heroic Horror" - leichter Kampf, stabile Psyche: Für actionlastige Abenteuer a la Groschenheft.
    "Slippery Slope" - leichter Kampf, instabile Psyche: Man kann sich regulärer Bedrohungen gut erwehren, aber der Wahnsinn lauert in jeder Ecke.
    "Dangerous Action" - harter Kampf, stabile Psyche: Der Mythos ist immer noch gefährlich durch die direkte Bedrohung, aber zumindest der Geist ist noch willig.
    "Dark Spiral" - harter Kampf, instabile Psyche: Jeder Schritt könnte der letzte sein. (Soll am ehesten CoC entsprechen.)


    Hiermit lassen sich vielfältige Spielstile abdecken, anstatt die Spieler zu einer bestimmten Spielform zu zwingen. Wenn die Spieler wie die Fliegen sterben wollen, oder es die Geschichte oder die Spannung erfordert, dann ist "Dark Spiral" angemessen. Aber auch "Heroic Horror" hat seinen Platz - man denke nur den Film "Hellboy". Der Held schlägt sich hier ja auch immer wieder mit den wildesten Kreaturen herum, und auch das ist eben unterhaltsam. Die Flexibilität wird von den Autoren der Abenteuer auch genutzt.


    Für den Meister wird die Spielwelt erklärt, inklusive einer Beschreibung aller Kreaturen und der Magie. V.a. die Monster sind sehr schön beschrieben, aber leider gibt es nicht zu jedem eine Abbildung. Ein Abenteuer-Generator, vier Abenteuerskizzen und eine Beispielkampagne sind auch enthalten. Empfohlen werden als Setting drei Äras - die 1890er, die 1920er und die Gegenwart. Die 1920er kommen dabei vielen Geschichten Lovecrafts am nächsten - die Welt wird kleiner, aber es gibt noch weisse Flecken auf der Landkarte, und manchmal entdecken aufmerksame Menschen weit mehr, als sie wollten...


    Abgerundet wird das Ganze durch Konversionsregeln, um CoC-Abenteuer weiterzuverwenden.


    MIr jedenfalls hat dieses Buch sehr gut gefallen. Wie es sich spielt, weiß ich noch nicht, aber die Ausgestaltung ist sicherlich sehr gut und stimmungsvoll. Ich habe es für 15 US$ im Paket mit einem Abenteuer als PDF erworben, was übrigens billiger war als das Buch alleine... ?(


    Zur Zeit nur auf Englisch verfügbar. 162 Seiten, farbig, PDF-Format, kopiergeschützt, Lesezeichen erleichtern die Navigation, der gesamte Text ist durchsuchbar.

    2 Mal editiert, zuletzt von Oliver () aus folgendem Grund: Link auf neue Rezension eingefügt.

  • Realms of Cthulhu wird wohl auch auf längere Zeit NICHT auf Deutsch verfügbar sein, weil Pegasus kein Interesse an einer SW-Cthulhu-Ausgabe hat und somit eine Kooperation mit Prometheus Games, dem deutschen Verlag, der die SW-Lizenz von Pinnacle erworben hat, nicht zustande kam.


    Das ist schade, da schon viele Savages nach einer deutschen Ausgabe von Realms of Cthulhu Bedarf angemeldet hatten.

  • Alle, die die Space 1889 Runde letzte Woche vollendet haben, haben durch das ausgedehnte mehrstündige Gefecht vielleicht einen Eindruck gewonnen, wie wichtig Bennies sein können. Mit Bennies kann man die eigenen Würfe wiederholen - also z.B. einen Angriffswurf - aber nicht den eines anderen - also z.B. einen gegen den eigenen Charakter gerichteten Angriffswurf. Schadenswürfe haben keinen "Wild Die" und auch keine Möglichkeit, Bennies einzusetzen, weder offensiv noch defensiv. Und dann gibt es den "Soak" - das Abschütteln von Wunden. Man darf einen Benny ausgeben und einen Attributswurf ausführen, um Wunden "abzuschütteln." Gelingt der Wurf, können auch scheinbar schwer getroffene Charaktere sich vielleicht aus der Schußlinie retten, oder die Kugel bleibt halt in einer Taschenbibel oder einem Zigarettenetui stecken...


    Wie wir feststellen mußten, kann ein explodierender Schadenswürfel sehr schnell sehr unangenehm werden, speziell in Gefechten mit Schußwaffen, wo der Angreifer keinen Abwehrwert (Parry) überwinden muß. Wer schießt und trifft, darf ja gleich auf den Schaden würfeln. Da bleibt nur noch der Soak, wenn's einen richtig erwischt...


    In Realms of Cthulhu wurden die Härtegrade dadurch implementiert, daß auf den harten Stufen keine Soak Rolls (physischer Schaden) bzw. keine Rationalisierungswürfe (mentaler Schaden) erlaubt sind! D.h., sobald der Gegner Schaden würfeln darf, sprechen nur die Würfel. Jede Wunde muß hingenommen werden, und zusätzlich noch eine Einschränkung oder eine Ausprägung des aufkommenden Wahnsinns, wenn die betreffenden Vigor- und Spirit-Würfe nicht geschafft werden. Diesen Wurf zu wiederholen ist dann zwar doch noch ein Einsatzgebiet für einen Bennie, aber das verhindert vielleicht nur das Schlimmste. Und wenn zwei Einsen fallen, dann darf in Realms of Cthulhu kein Bennie ausgegeben werden!


    Gefechte und Mythosbegegnungen werden so richtig riskant. Bei Gefechten gilt, möglichst schnell auf Treffer zu drängen, da jeder Treffer sehr schnell der letzte sein kann. Da gibt man auch mal einen Bennie aus, um einen mißglückten Angriff noch einmal auszuführen. Für den mentalen Schaden gilt, daß einem nur das Wiederholen des Guts-Wurfes bleibt. Das ist eine Art Wette - wer sich den Bennie sparen will, muß darauf hoffen, daß bei einem versaubeutelten Abwehrwurf der mentale Schaden sich in Grenzen hält. Wer das nicht riskieren will, wird hier seine Bennies defensiv einsetzen.


    Wie gesagt, wenn man die Regeln nur liest, erscheint es einem zunächst nicht so wichtig. Doch schon ein zähes Savage Worlds Gefecht kann einen überzeugen, wie überlebenswichtig diese Bennies sein können. Ich finde, das ist eine elegante Lösung, die gut zum Spielsystem passt.

  • Etwas mehr dazu, wie der (vom Mythos ausgelöste) Wahnsinn in den Regeln für RoC abgebildet wird:


    Es gibt drei verschiedene Arten, Wahnsinn zu porträtieren - Madness, Insanity und Sanity.


    "Madness" sind mentale Wunden, man könnte sie als Traumen bezeichnen. Hiervon kann der Charakter, genauso wie bei physischen Wunden, drei hinnehmen, die vierte führt zu einer Art Nervenzusammenbruch ("Insanity").


    "Insanity" sollte am besten ausgespielt werden. Es wird ausgewürfelt, welche Art von Wahnsinn den Spieler befällt und für wie lange. Alle Arten von Neurosen und Störungen stehen zur Verfügung.


    "Madness" kann relativ schnell geheilt werden, wenn es die Umstände zulassen. Ein Charakter mit dem Psychologie-Skill kann versuchen, "Madness" in einem anderen Charakter abzubauen. In der leichten Variante kann man sich außerdem einen Rationalisierungswurf mit Bennies erkaufen.


    In der schweren Variante fängt man sich mit jedem Level an Madness potenziell auch eine Störung ein - der Charakter wird schnell schrullig, halbwahnsinnig und neurotisch, ist aber noch nicht außer Gefecht.


    Langzeittherapie durch einen Charakter mit der Edge "Psychotherapie" kann einen Ermittler (Spielercharakter) immer wieder dazu befähigen, an Abenteuern teilzunehmen. Der vorgedruckte Charakterbogen bildet hierzu sogar die entsprechenden Werte wie auf einem Krankenblatt einer Nervenklink ab.


    Die einzige Reise ohne Wiederkehr ist hingegen das Sinken der Sanity auf 0. Der Charakter mag nicht einmal nach außen hin wahnsinnig erscheinen, aber innerlich den Mächten verfallen, die er einmal aufhalten wollte. Oder er ist nur noch ein katatonisches Wrack. Auf jeden Fall ist er unweigerlich verloren und kann nie wieder gespielt werden.